GT Artikel vom 15.6.2024, „Eine Pfalz, von der Geschichte verschüttet“

Wo heute Göttingen ist, weilten einst Kaiser – und doch ist die Pfalz Grona heute abgesehen von Straßennamen weitgehend vergessen. Dabei hätte dieser Ort auf dem Hagenberg so viel zu erzählen. Zeit, dass sich etwas ändert: Einige Göttinger wollen die Pfalz Grona in die Gegenwart holen.

Im Süden“, sagt Hans-Peter Paulsen, „boxt der Papst, wenn es um Heinrich II. geht.“ Dabei starb der römisch-deutsche Kaiser vor fast genau 1000 Jahren. Und obwohl Heinrichs Leben auf der Pfalz Grona endete, feiert Bamberg, wo er begraben ist, den Kaiser, während er in Göttingen praktisch vergessen ist. Ein Schicksal, dass Heinrich mit seinem Todesort teilt: Was die Pfalz Grona war, weiß in Göttingen wohl kaum jemand. Ein unhaltbarer Zustand, finden Paulsen und seine Mitstreiter von der Initiative Bürgerstammtisch Hagenberg. Und so sind sie dieser Wochen jeden Tag damit beschäftigt, ein „Spectaculum“ auf die Beine zu stellen: Den ersten Mittelaltermarkt auf der Pfalz Grona zu Göttingen.

Zunächst einmal: Königspfalz oder Kaiserpfalz? Beides irgendwie richtig, sagt Paulsen. „Heinrich II. starb hier am 13. Juli 1024 als Kaiser, aber insgesamt waren mehr Könige als Kaiser hier.“ Pfalzen, das waren Orte, an denen sich die Herrscher auf ihren ständigen Reisen durch ihre Länder immer nur zeitweise aufhielten – von einer zentralen Hauptstadt aus war zu dieser Zeit kein Staat zu machen. Während Städte wie Goslar und Aachen heute auf ihre Pfalzen als wahre Touristenattraktionen bauen können, ist aber von der auf dem Hagenberg in der heutigen Göttinger Weststadt nicht einmal etwas zu sehen, wenn man gezielt nach ihr sucht.

Pfalz Grona bei der „urbs, quae Grona dicitur“

An der Friedenskirche auf dem Hagenberg steht ein Turm. Dort sind zwei Tafeln und ein Relief angebracht, auf denen die Geschichte der Pfalz erzählt und ihr Grundriss dargestellt wird. Die Kurzfassung: Im 10. und 11. Jahrhundert hielten sich hier zwischen 941 und 1025 mindestens fünf römisch-deutsche Kaiser mindestens 18 Mal auf, Otto I., II. und III., besagter Heinrich II. und Konrad II.. Jedoch: Wo heute der Turm steht, war niemals die Pfalz Grona.

Die befestigte Anlage stand, wo heute ein Stück Wald den Hagenberg bewächst. Benannt ist sie, das ist in historischen Quellen nachzulesen, nach der nahegelegenen „urbs, quae Grona dicitur“, einer Stadt namens Grona – dem heutigen Grone. Göttingen wartete da noch auf seine erste urkundliche Erwähnung. Die Lage für eine Königspfalz war ideal, weil bei Bedarf leicht gegen Angreifer zu verteidigen: im Osten und Süden ein steiler Abhang, an dessen Fuß die Grone fließt, nach Norden und Westen zwar flacher abfallendes Gelände, aber eben doch eine Erhebung im Vergleich zur Umgebung. Hier war die Pfalz nach heutiger Kenntnis neben einer Mauer auch noch durch einen Graben geschützt.

Dreimal ausgegraben, dreimal wieder verschüttet

Woher man das alles weiß? „Die Pfalz wurde dreimal ausgegraben“, weiß Thomas Danneboom von der Bürgerinitiative. Und dann – wieder zugeschüttet. Drei Mal. 1880 beschloss der Göttinger Oberbürgermeister Georg Merkel, erste Grabungen anzustellen. Man stieß auf die Mauern der Pfalzkapelle, konnte aber damit nicht viel anfangen und verfüllte die Grabungen wieder. 1935 versuchte man sich erneut an einer Ausgrabung. „Dann setzten die Nazis den Grabungsleiter ab und sein Nachfolger schüttete alles wieder zu“, weiß Paulsen. Die umfangreichsten Grabungen gab es dann über ganze 15 Jahre ab 1957. Man fand die Mauern der Palastanlage, erneut die Kapelle und weitere Gebäude. Kinder spielten auf den Funden, zum Beispiel Klaus-Uwe Müller, der heute zum elfköpfigen Projektteam für den ersten Mittelaltermarkt auf der Pfalz Grona gehört. Und dann schüttete man wieder alles zu. Die Pfalz Grona liegt seitdem wieder unter der Erde.

Wie kam sie dort überhaupt hin? „Es wurde den Gronern und Göttingern zu viel“, glaubt Paulsen. Denn sie waren, obwohl die Pfalz im Jahr 1387 schon seit 350 Jahren von keinem Kaiser mehr besucht worden war, immer noch verpflichtet, die wechselnden Burgherren zu versorgen. Seit 1323 lag die Anlage zwar brach. Doch dann baute Herzog Otto der Quade von Braunschweig-Göttingen die Burg neu auf. Göttingen indes war zwischenzeitlich eine wohlhabende Stadt geworden – und entsprechend selbstbewusst. „Dann hat man sich gekabbelt, und die Göttinger haben die Pfalz geschliffen“, fasst Paulsen das Ende der Königspfalz Grona und des Dorfes Burggrone zusammen. Andererseits: Pfalzen waren ohnehin aus der Mode gekommen. Nach Paulsens Kenntnis ist ein Teil der Pfalzmauern seitdem im Göttinger Stadtwall verbaut.

Nach den ersten Ausgrabungen von 1880 ließ das Landesdirektorium Hannover einen vier Meter hohen Gedenkstein errichten. Er steht heute mitten im Wäldchen auf dem Hagenberg, ungefähr dort, wo die Kapelle der Pfalz gestanden haben muss – und als Paulsen, Müller, Danneboom und Pastor Ralf Reuter von der evangelischen Weststadtgemeinde gemeinsam mit dem Besuch vom Tageblatt dort ankommen, liegen am Fuß des Steins Blumen. Paulsen ist begeistert: Das habe er noch nie erlebt, sagt er, und es zeige doch, dass sich offensichtlich Menschen mit der Pfalz beschäftigen. „Wir scheinen vieles anzustoßen durch die Unruhe, die wir stiften“, glaubt der Hagenberger.

„Hier stand die Pfalz Grona, ein Wohnsitz der sächsischen Kaiser 919 bis 1024, zerstört von den Göttinger Bürgern im Streite mit Herzog Otto 1387, steht auf einer Metalltafel, die an dem Findling angebracht ist. Und: „Iam seges crescit ubi Troia fuit“ – „Schon wächst die Saat, wo Troja gewesen ist“, nach dem römischen Dichter Ovid.

Wohl wahr. Keine Spur von einer Königspfalz. Aber in der Umgebung, da ist sie an allen Ecken und Enden namentlich gegenwärtig. Richtung Süden, nach Göttingen, führt am Fuße des Hagenbergs die Pfalz-Grona-Breite. Westlich führt die Straße Unter der Pfalz hinauf auf den Hagenberg. Stadtteil und Flüsschen Grone hießen schon so, als die Pfalz noch nicht stand. Königsstieg und Königsallee heißen wegen der Könige so, die hier Halt machten. Und die katholische Kirche St. Heinrich und Kunigunde in Grone ist, natürlich, nach Kaiser Heinrich II. und seiner Frau benannt.

Zwei Tage Mittelaltermarkt

Und doch: Wer weiß heute schon noch, was es mit der Pfalz Grona auf sich hat? „Wir wollen das Vergessen der Pfalz deutlich machen“, sagt Pastor Reuter. Und so beteiligen sich reihenweise Akteure daran, die Pfalz Grona gewissermaßen in Abwesenheit hochleben zu lassen. Vom 28. August bis zum 1. September dreht sich auf dem Hagenberg alles um Göttingens vergessene Machtzentrale des Heiligen Römischen Reichs.

Im Zentrum des Ganzen steht besagter Mittelaltermarkt. Am Sonnabend und Sonntag, 31. August und 1. September, sollen rund um die Friedenskirche – hier gibt es im Gegensatz zum eigentlichen Standort der Pfalz und zu den nördlich gelegenen Wiesen im Westpark genügend Platz – mehr als 40 Aussteller und Künstler ihr Publikum unterhalten. Die Organisatoren planen mit mittelalterlicher Live-Musik von Saltatio Draconum, Die Legende von Nord und weiteren Bands, mit Kirschbier und Met, diversen kulinarischen Leckereien, mit Minnesang, Gauklern, Feuer-Shows und Falknern, mit Kettenhemd flechten, Schmieden, Lederarbeiten und Bogenschießen. Und selbstverständlich mit Führungen zur Pfalz Grona. Und mit hohem Besuch: Heinrich II. und Kunigunde höchstselbst haben sich laut Programm angekündigt.

Auch wissenschaftlich möchte man die Pfalz zurück in den Blick der Göttinger bringen. Am 28. und 29. August ist ein Kolloquium an der Friedenskirche geplant. Natürlich auch eine Ausstellung. Am 1. September ebenso wie an Heinrichs Todestag, dem 13. Juli, wird es ökumenische Gottesdienste geben. Am 13. Juli hält ein besonderer Gast mit passendem Vornamen die Predigt: Literaturwissenschaftler Prof. Heinrich Detering von der Georg-August-Universität.

„Ein viertes Mal noch“

Die Organisatoren suchen übrigens weiter nach Spendern, um die Unkosten für ihr Projekt zu decken. Die Unterstützung etwa durch die Stadt Göttingen sei exzellent, betont Paulsen. Aber er wolle weiter um Unterstützung werben. Dafür hat er auch eine Vision zu bieten: Das „Spectaculum“ im Spätsommer soll „keine Eintagsfliege“ bleiben, vielmehr ein fester und wiederkehrender Bestandteil des Göttinger Jahres sein. Die Pfalz Grona wird zur Touristenattraktion, vielleicht beschließt man eine Zusammenarbeit mit Bamberg, wo man schließlich weiß, wie man den Kaiser feiert. Der war übrigens nicht unumstritten: Er stellte weltliche und kirchliche Weichen, aber er führte auch Kriege.

An Heinrichs Pfalz hingegen gibt es für Danneboom nichts zu streiten: „Ob Heinrich ein guter Mensch war, weiß keiner, aber er war ein Mittelalter-Star, eine richtig große Nummer. Und hier findet seine Geschichte bisher einfach nicht statt.“ Dabei wäre es doch schön, findet Danneboom, wenn auf dem Hagenberg Geschichte erlebbar würde. „Ein viertes Mal noch ausgraben“, wünscht er sich, „und dann wäre auch mal gut.“



Quellenangabe: Göttinger Tageblatt vom 15.06.2024, Seite 17 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert